Rezension und Buchempfehlung – Make it stick
Wenige Bücher haben mich als Referendar wirklich beeinflusst und noch weniger haben mich als Lehrperson in den vergangenen Jahren besser gemacht. Das liegt zum einen daran, dass ich schon immer meinen eigenen Unterricht verfolgt und meinen eigenen Stil gefunden habe, mit der bisher alle Beteiligten (also Schüler, Eltern, Kollegen, die Schulleitung und ich natürlich) soweit ganz glücklich sind.
Aber ab und zu kommt ein kleines Juwel zu Tage, dass meine Sicht auf Unterricht, auf Lernen und auf alle Stunden, die ich bisher gehalten habe, verändert hat. Eines dieser Werke ist das englischsprachige Buch:
Make it stick – The Science of Successful Learning
von
Peter C. Brown, Henry L. Roedinger III und Mark A. McDaniel
Es beschäftigt sich im Grunde mit den aktuellen Erkenntnissen der Lernphysiologie und -psychologie und räumt mit sehr hartnäckigen Vorurteilen des Lernens auf. Dabei zeigt es an sehr anschaulichen Beispielen aus vielen verschiedenen Bereichen des Lebens, wie man erfolgreich lernt und wie sich das eigene Lernen verbessern kann. Ich rede hier nicht nur von Schülern, sondern auch von uns allen als lebenslange Lerner.
Die Grundprinzipien sind schnell erklärt und werden im Buch an mehreren Stellen in fast jedem Kapitel wieder aufgerufen, sodass sie nicht in Vergessenheit geraten.
Drei Dinge, die Lehrer daraus mitnehmen
Ich will hier nicht zu viel verraten, weil ich denke, dass sich der Kauf und das Lesen des Buchs wirklich lohnt. Aber ein paar Grundgedanken will ich euch nicht vorenthalten.
1. Effizientes Lernen fühlt sich nicht unbedingt gut an
Das ist eines der wichtigsten Punkte des gesamten Buchs. Wir alle kennen Techniken, mit denen wir aufgewachsen sind und die uns als effizient verkauft wurden. Schüler büffeln stundenlang über einem Thema und freuen sich, wenn sie den Inhalt 1 zu 1 wiedergeben können. Aber haben sie die Inhalte damit auch verinnerlicht? Können sie nicht nur sagen, wo etwas im Heft steht, sondern auch, worum es dabei geht? Können sie dieses Wissen und Können auch anwenden?
Meist ist es so, dass sich genau die Techniken, die sich nach “Lernen” anfühlen, eben nur einen Trugschluss des Lernens vermitteln. Vergeudete Zeit, die mit einer besseren Lerntechnik sehr viel zielgerichteter genutzt werden kann. Und ich spreche hier nicht von Lerntypen oder Lernkanälen, sondern von tatsächlich empirisch überprüften Veränderungen des Lernens selbst.
2. Das Aufrufen von Wissen geschieht in der Schule nur in Gefahrensituationen
Wir bringen unseren Kids in der Regel eine ganze Menge bei. Sie schaufeln täglich Wissen in sich hinein, lernen zuhause auch noch stundenlang und brüten vor ihren Unterlagen, damit sie alles drin behalten. Dabei vergessen wir meist den wichtigsten Schritt: das Abrufen der Informationen. Was bringt einem das ganze Lernen, wenn man nie gelernt hat, sein Wissen auch abzurufen.
In der Schule knüpft die Lehrperson an Bekanntes an und verankert dieses Wissen auch durch Übungen und Umwälzung in den Köpfen. Trotzdem kennen wir viele Schüler, die in der Klausur oder Prüfung einen Blackout haben, weil sie nie gelernt haben, das gespeicherte Wissen vernünftig abzurufen, wenn sie es brauchen. Das liegt daran, dass wir in der Schule den Abruf des Wissens nur in Gefahrensituationen prüfen. Nur während einer Klausur oder einem für die Note wichtigen Test werden die Schüler gezwungen sich selbst zu prüfen.
Ein Tipp hier aus dem Buch: unbenotete Tests oder Quizzes. Wie diese aussehen, ist jedem natürlich selbst überlassen. Eine schöne Möglichkeit dazu habe ich in einem Blogbeitrag schon beschrieben: man kann sehr schön ein Kahoot zur Wiederholung des Wissens nutzen.
3. Büffeln ist nicht effizient – Mut zur Lücke schon
Wenn ich höre, dass Schüler zuhause 10 Stunden gelernt haben und dennoch nur eine 4 schreiben, frage ich mich meistens, wie das zusammen passt. Meistens gibt es dafür mehrere Gründe:
1. Die Schüler nutzen ihre Zeit nur bedingt zum Lernen und prokrastinieren eigentlich mindestens zu 50% dieser veranschlagten Zeit (Das geht uns sicher zeitweise auch nicht anders). (Mehr zu Gegenmaßnahmen in einem späteren Blogbeitrag von mir)
2. Die Schüler nutzen Methoden, die nicht sinnvoll sind. Studien haben gezeigt, dass beim “Büffeln” (engl. cramming) von Unterlagen nur ca. 20% der Inhalte wirklich verwendbar im Kopf hängen bleiben. Der Rest geht einfach verloren. Heißt: von drei Stunden Lernzeit ist nur etwas mehr als eine halbe Stunde wirklich sinnvoll genutzt. Andere Lerntechniken haben einen Durchsatz von bis zu 80%. Die Zeitersparnis kann also riesig sein, wenn man sich nur vernünftig mit der Materie auseinander setzt. Einfache Übungen dazu, die sogar noch Spaß machen können, werden im Buch beleuchtet.
Weiter führt das Büffeln zum Trugschluss, dass man das Auswendig gelernte auch anwenden kann. Meist ist das vielleicht in den ersten Stunden nach dem Lernen so, weil das Wissen im Kurzzeitgedächtnis hängt und man sich freut, dass man das Heft wiedergeben kann. Zwingt man sich, beim Lernen eine Pause zu machen (und ich rede hier nicht von ein paar Minuten, sondern mehreren Tagen), fällt einem das Aufrufen vielleicht beim nächsten Mal schwer, aber man trainiert sein Hirn Stück für Stück neue Wege zu gehen und macht sich das Wissen damit schneller und besser zugänglich.
Weiter lernt das Gehirn dabei, neues Wissen schneller ins Langzeitgedächtnis zu transferieren, sodass man hier einen aktiven Schritt zum “Lernen lernen” machen kann.
Was mich sonst noch beeindruckt hat
- Es ist zwar in englisch geschrieben, aber man kann es auch als englischkundiger Deutscher ganz gut verstehen. Einige Worte musste ich auch nachschlagen, aber dadurch sind sie mir auch besser im Gedächtnis geblieben.
- Man sieht an ganz verschiedenen Stellen, wie und wo die Techniken des Buchs eingesetzt werden und sieht auch den Erfolg, der dabei entstehen kann an (meist) sehr leicht verständlichen Beispielen.
- Es ist sowohl für Lehrer als auch für Lerner in der Schule, im Studium oder auch als lebenslange Lerner geschrieben
- Am Ende des Buchs gibt es eine Zusammenfassung der verschiedenen Techniken, die konkrete Tipps für Lerner und Lehrer geben
- Es ist eine sehr ausführliche Literaturliste eingefügt, wenn man weitere Informationen dazu will
- Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine strukturierte Aneinanderreihung von funktionierenden Methoden, verpackt in nachvollziehbare Geschichten und Studien
Weiterführende Internetseiten
- Offizielle Seite des Buchs (auch englisch, aber nett gemacht)
- www.cultofpedagogy.com (unbedingt reinschauen, großartiges Blog/Podcast ebenfalls in englischer Sprache!)
- Amazon-Link zum Buch (Affiliate-Link)
- Retrieval Practice (sehr schöne Seite mit kostenloser PDF zum Thema. Ach ja: auch englisch, sorry)
Welche Bücher haben eure Sichtweise auf Lernen oder Lehren verändert? Welche Tipps teilt ihr gern mit anderen? Welche Empfehlungen habt ihr? Schreibt es in die Kommentare!
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Zuletzt aktualisiert: 10. Januar 2020 von Michael
Make it Stick – Ein Muss für Lehrer und Lerner
Rezension und Buchempfehlung – Make it stick
Wenige Bücher haben mich als Referendar wirklich beeinflusst und noch weniger haben mich als Lehrperson in den vergangenen Jahren besser gemacht. Das liegt zum einen daran, dass ich schon immer meinen eigenen Unterricht verfolgt und meinen eigenen Stil gefunden habe, mit der bisher alle Beteiligten (also Schüler, Eltern, Kollegen, die Schulleitung und ich natürlich) soweit ganz glücklich sind.
Aber ab und zu kommt ein kleines Juwel zu Tage, dass meine Sicht auf Unterricht, auf Lernen und auf alle Stunden, die ich bisher gehalten habe, verändert hat. Eines dieser Werke ist das englischsprachige Buch:
Make it stick – The Science of Successful Learning
von
Peter C. Brown, Henry L. Roedinger III und Mark A. McDaniel
Es beschäftigt sich im Grunde mit den aktuellen Erkenntnissen der Lernphysiologie und -psychologie und räumt mit sehr hartnäckigen Vorurteilen des Lernens auf. Dabei zeigt es an sehr anschaulichen Beispielen aus vielen verschiedenen Bereichen des Lebens, wie man erfolgreich lernt und wie sich das eigene Lernen verbessern kann. Ich rede hier nicht nur von Schülern, sondern auch von uns allen als lebenslange Lerner.
Die Grundprinzipien sind schnell erklärt und werden im Buch an mehreren Stellen in fast jedem Kapitel wieder aufgerufen, sodass sie nicht in Vergessenheit geraten.
Drei Dinge, die Lehrer daraus mitnehmen
Ich will hier nicht zu viel verraten, weil ich denke, dass sich der Kauf und das Lesen des Buchs wirklich lohnt. Aber ein paar Grundgedanken will ich euch nicht vorenthalten.
1. Effizientes Lernen fühlt sich nicht unbedingt gut an
Das ist eines der wichtigsten Punkte des gesamten Buchs. Wir alle kennen Techniken, mit denen wir aufgewachsen sind und die uns als effizient verkauft wurden. Schüler büffeln stundenlang über einem Thema und freuen sich, wenn sie den Inhalt 1 zu 1 wiedergeben können. Aber haben sie die Inhalte damit auch verinnerlicht? Können sie nicht nur sagen, wo etwas im Heft steht, sondern auch, worum es dabei geht? Können sie dieses Wissen und Können auch anwenden?
Meist ist es so, dass sich genau die Techniken, die sich nach “Lernen” anfühlen, eben nur einen Trugschluss des Lernens vermitteln. Vergeudete Zeit, die mit einer besseren Lerntechnik sehr viel zielgerichteter genutzt werden kann. Und ich spreche hier nicht von Lerntypen oder Lernkanälen, sondern von tatsächlich empirisch überprüften Veränderungen des Lernens selbst.
2. Das Aufrufen von Wissen geschieht in der Schule nur in Gefahrensituationen
Wir bringen unseren Kids in der Regel eine ganze Menge bei. Sie schaufeln täglich Wissen in sich hinein, lernen zuhause auch noch stundenlang und brüten vor ihren Unterlagen, damit sie alles drin behalten. Dabei vergessen wir meist den wichtigsten Schritt: das Abrufen der Informationen. Was bringt einem das ganze Lernen, wenn man nie gelernt hat, sein Wissen auch abzurufen.
In der Schule knüpft die Lehrperson an Bekanntes an und verankert dieses Wissen auch durch Übungen und Umwälzung in den Köpfen. Trotzdem kennen wir viele Schüler, die in der Klausur oder Prüfung einen Blackout haben, weil sie nie gelernt haben, das gespeicherte Wissen vernünftig abzurufen, wenn sie es brauchen. Das liegt daran, dass wir in der Schule den Abruf des Wissens nur in Gefahrensituationen prüfen. Nur während einer Klausur oder einem für die Note wichtigen Test werden die Schüler gezwungen sich selbst zu prüfen.
Ein Tipp hier aus dem Buch: unbenotete Tests oder Quizzes. Wie diese aussehen, ist jedem natürlich selbst überlassen. Eine schöne Möglichkeit dazu habe ich in einem Blogbeitrag schon beschrieben: man kann sehr schön ein Kahoot zur Wiederholung des Wissens nutzen.
3. Büffeln ist nicht effizient – Mut zur Lücke schon
Wenn ich höre, dass Schüler zuhause 10 Stunden gelernt haben und dennoch nur eine 4 schreiben, frage ich mich meistens, wie das zusammen passt. Meistens gibt es dafür mehrere Gründe:
1. Die Schüler nutzen ihre Zeit nur bedingt zum Lernen und prokrastinieren eigentlich mindestens zu 50% dieser veranschlagten Zeit (Das geht uns sicher zeitweise auch nicht anders). (Mehr zu Gegenmaßnahmen in einem späteren Blogbeitrag von mir)
2. Die Schüler nutzen Methoden, die nicht sinnvoll sind. Studien haben gezeigt, dass beim “Büffeln” (engl. cramming) von Unterlagen nur ca. 20% der Inhalte wirklich verwendbar im Kopf hängen bleiben. Der Rest geht einfach verloren. Heißt: von drei Stunden Lernzeit ist nur etwas mehr als eine halbe Stunde wirklich sinnvoll genutzt. Andere Lerntechniken haben einen Durchsatz von bis zu 80%. Die Zeitersparnis kann also riesig sein, wenn man sich nur vernünftig mit der Materie auseinander setzt. Einfache Übungen dazu, die sogar noch Spaß machen können, werden im Buch beleuchtet.
Weiter führt das Büffeln zum Trugschluss, dass man das Auswendig gelernte auch anwenden kann. Meist ist das vielleicht in den ersten Stunden nach dem Lernen so, weil das Wissen im Kurzzeitgedächtnis hängt und man sich freut, dass man das Heft wiedergeben kann. Zwingt man sich, beim Lernen eine Pause zu machen (und ich rede hier nicht von ein paar Minuten, sondern mehreren Tagen), fällt einem das Aufrufen vielleicht beim nächsten Mal schwer, aber man trainiert sein Hirn Stück für Stück neue Wege zu gehen und macht sich das Wissen damit schneller und besser zugänglich.
Weiter lernt das Gehirn dabei, neues Wissen schneller ins Langzeitgedächtnis zu transferieren, sodass man hier einen aktiven Schritt zum “Lernen lernen” machen kann.
Was mich sonst noch beeindruckt hat
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